Jugendgewalt in der Schweiz
Warum eine Verschärfung des Jugendstrafrechts weder notwendig noch sinnvoll ist.
Dirk Baier
Juli 2025
Nach mehreren aufsehenerregenden Gewalttaten – etwa dem Messerangriff eines 15-Jährigen in Zürich im März 2024 oder einem Übergriff einer Gruppe junger Mädchen in Oensingen im Januar 2025 – wird in der Schweiz erneut über härtere Strafen für Jugendliche diskutiert. Doch ein Blick in die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) und die aktuelle Forschung zeigt: Die Lage ist deutlich weniger dramatisch als es die Einzelfälle vermuten lassen.
Zunächst gilt, dass überhaupt nur sehr wenige junge Menschen als Beschuldigte einer Gewalttat eingestuft werden: Nur 0,3 % aller 10- bis 14-jährigen wurden 2024 des Begehens einer Gewaltstraftat polizeilich beschuldigt; gleiches galt für nur 0,8 % aller 15- bis 17-jährigen und 0,7 % aller 18- bis 19-jährigen. Gewaltstraftaten stellen die absolute Ausnahme dar – weniger als ein Prozent der Jugendlichen begehen pro Jahr eine solche Tat.
Daneben belegen die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik, dass sich seit 2020 für Jugendliche (15 bis 17 Jahre) ein Rückgang der Gewalt ergeben hat, ebenso bei jungen Erwachsenen (18 bzw. 19 Jahre). Nur für die Kinder (10 bis 14 Jahre) steigen die Zahlen. Die kurzfristige Entwicklung zwischen 2023 und 2024 weist zugleich darauf hin, dass bei den 10- bis 14-jährigen die Zahlen konstant geblieben sind, bei den 15- bis 17-jährigen weiter sinken. Für den Moment kann insofern eine weitgehend stabile bzw. leicht rückläufige Entwicklung im Bereich der Jugendgewalt konstatiert werden, weshalb eine Verschärfung des Jugendstrafrechts überhaupt nicht notwendig ist.
Auch bei schweren Delikten gibt es im Übrigen keine Explosion der Fälle: Bei Tötungsdelikten bspw. sind insgesamt sehr geringe Fallzahlen festzustellen. Dabei handelt es sich bei der Mehrheit der Taten um versuchte Tötungsdelikte. Bei allen Altersgruppen junger Menschen sind die Zahlen im Zeitraum 2020 bis 2024 recht konstant geblieben.
Das Schweizer Jugendstrafrecht orientiert sich im Umgang mit Gewalttätern und -täterinnen am Erziehungsgedanken: Massnahmen sollen nachhaltige Veränderungen fördern, nicht primär bestrafen. Forderungen nach härteren Strafen für Jugendliche sind daher fehl am Platz, weil sie diesem Erziehungsgedanke nicht Rechnung tragen. Zugleich widerlegen Forschungsergebnisse, dass entsprechende Sanktionen präventiv wirken würden; Verschärfungen des Jugendstrafrechts sind daher auch nicht sinnvoll, wenn es darum gehen soll, Jugendgewalt effektiv zu verhindern.
Abschreckung wirkt bei Jugendlichen kaum, da Impulsivität, Gruppendruck und schwierige Lebensumstände wichtigere förderliche Faktoren der Straffälligkeit sind; abstrakte Strafandrohungen reduzieren dieses Verhalten nicht. Härtere Strafen, die gemeinhin mehr Freiheitsstrafen bedeuten, helfen auch nicht bei der Resozialisierung. Bekannt ist, dass die Rückfallraten bei zu Haftstrafen verurteilten Jugendlichen deutlich höher liegen als bei anderen Sanktionen. Wichtiger ist daher, unterstützende, beratende, therapeutische usw. Sanktionen zu stärken.
Zusammenfassend gilt: Weniger als ein Prozent der Jugendlichen begeht jährlich eine Gewalttat. Die Zahlen sind seit Jahren eher stabil; der Anstieg, der sich zwischen 2015 und 2020 gezeigt hat, ist weitestgehend bereits zu einem Ende gelangt. Eine Verschärfung des Jugendstrafrechts ist daher weder notwendig noch sinnvoll. Nachhaltige Sicherheit entsteht durch weitere Stärkung der Präventionsarbeit sowie durch Interventionsmassnahmen, die auf Erziehung, Resozialisierung und soziale Unterstützung setzen.
Für eine ausführliche Darstellung des Beitrags:
Baier, D., Zobrist, P. (2025). Aktuelle Entwicklungen der Jugendgewalt in der Schweiz: Warum eine Verschärfung des Jugendstrafrechts weder notwendig noch sinnvoll ist. Kriminalistik, Heft 7/2025.
 
                        